Hybris
12. Oktober 2021 - Weststadthalle Essen
Hybris ist ein Theaterstück, welches in Zusammenarbeit mit Schule Neu Denken e.V. entstanden ist und sich kritisch mit dem deutschen Bildungssystem und den dahinterstehenden Grundsätzen auseinandersetzt.
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Wir schreiben ein entferntes Jahr in der Zukunft. Deutschland hat sich nach politischen Ringen dazu durchgerungen, die Digitalisierung an deutschen Schulen voranzutreiben und ein Milliardenpaket auf den Weg gebracht. Die verschiedenen Regierungen der Länder haben sich darauf verständigt, eine bundeseinheitliche Unterrichtssoftware an allen deutschen Schulen einzuführen, um das vermeintlich erfolgreiche deutsche Unterrichtswesen noch effizienter gestalten zu können.
Anstatt die Umbruchsphase der Digitalisierung jedoch zu nutzen, dass bestehende Bildungssystem und die dahinterstehenden pädagogischen Grundsätze insgesamt auf den Prüfstand zu stellen, begnügte sich die Politik lediglich damit, die einzelnen Schulen mit hochtechnisierter Hardware und Software auszustatten.
In der naiven Hoffnung mittels technischer Modernisierung, die strukturellen und konzeptionellen Probleme des deutschen Schulsystems kompensieren zu können, hielt man weitestgehend am Status quo fest.
Mittels einer künstlichen Intelligenz namens "Hybris" versuchte man die Unterrichtszeit noch engmaschiger zu takten und die Antworten der Schüler und Schülerinnen noch weiter zu standardisieren. Hierdurch soll noch mehr Vergleichbarkeit erreicht und durch die Fokussierung auf standardisierte Antworten die Stoffdichte noch weiter erhöht werden. Gleichzeitig so die Voraussage der einzelnen Bildungsminister und Bildungsministerinnen wird der Schulalltag für alle Schüler und Schülerinnen erleichtert, da so das zeit- und resourcenfressende eigenständige Herleiten von Lösungen und das Bilden von Zusammenhängen entfiele.
Man erhofft sich durch diese Vereinfachung noch mehr Schüler und Schülerinnen mitnehmen zu können, da man Wissensinhalte und Informationen so auf ihren Kerngehalt reduzieren und so einer breiten Masse von Schüler und Schülerinnen für das Auswendiglernen zugänglich machen kann.
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Das Theaterstück skizziert eine düstere Zukunftsvision in Form einer Dystopie, in der versucht wird die Grundsätze der computertechnischen Informationsverarbeitung auf den menschlichen Lernprozess zu übertragen. Das Gehirn als riesige Computerfestplatte ersetzt das Anschauungsmodell des Nürnberger-Trichters und setzt damit den Irrglauben an ein fragwürdiges Kindes- und Menschenbild und an ein antiquiertes Bildungsverständnis fort.
Schlimmer noch, wird durch die Analogie zwischen Gehirn und Computer der Lernprozess als ganzheitliche und sinnerfassende Erfahrung zerlegt und lediglich auf die Aufnahme und das Auswendiglernen von isolierten Informationen reduziert.
Lernen als ein auf Vorwissen aufbauender und daher individueller Erkenntnisprozess wird so wie bereits in der Vergangenheit unter der technokratisch anmutenden Maxime der absoluten Messbar- und Vergleichbarkeit wegrationalisiert. Die dadurch bedingte Anhäufung von Informationen als reine Wissensakkumulation verdinglicht Wissen zu einer Ware. Anstatt sich Wissen anzueignen d.h, individuell zu verinnerlichen, kommt es nur darauf an, zeitweise Wissen zu erwerben, um es zielgerichtet für eine konkrete Testsituation gebrauchen zu können.
Damals wie auch in der skizzierten Dystopie steht nicht die individuelle Persönlichkeitsentwicklung, sondern lediglich ein standardisierter Wissenserwerb im Vordergrund, welcher exemplarisch und womöglich auch ursächlich für eine Dialektik der Aufklärung ist, die sich in unserer heutigen Zeit in Form sogenannter "Fake News" und in den scheinbaren Niedergang unserer Debattenkultur manifestiert.
Daniel Roesch und Puya Jafari sind die Organisatoren von dem Theaterprojekt und haben das Veranstaltungskonzept ausgearbeitet. Neben den Theaterstück selbst organisierten und planten beide auch die anschließende Diskussionsrunde zur aufgeworfenen Thematik.
Puya übernimmt im Zuge des Projekts auch eine Rolle im Theaterstück und spielt einen Lehrer, der sich blind den neuen technischen Errungenschaften angeschlossen hat. Daniel moderiert im Anschluss die Diskussionsrunde zum Thema "Hybris Bildung - das aufklärerische Potenzial der Inklusion" mit unseren eingeladenen Gästen.
Inklusion hat primär nichts mit Behinderung zu tun. Die Tatsache, dass im Idealtypus einer inklusiven Gesellschaft Menschen mit Behinderung keine strukturelle Benachteiligung mehr erfahren, ist lediglich eine unabdingbare und wünschenswerte Begleiterscheinung, die aber auf jeden Menschen, der von struktureller Benachteiligung betroffen ist, zutreffen würde.
Bei der Umsetzung der schulischen Inklusion geht es daher nicht um die paradoxe Frage, wie Menschen mit Behinderung in ein auf selektierenden Strukturen aufbauendes Schulsystem integriert werden können. Dieses Vorhaben ist rein denklogisch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die Frage sollte daher eher lauten, welche dogmatischen Grundsätze sich hinter diesen selektierenden Strukturen verbergen und ob diese Strukturen für die autonome Persönlichkeitsentwicklung allgemein und für das Bildungsniveau unserer Gesellschaft insgesamt wirklich förderlich sind.
Operiert man also im Gegensatz zur Politik mit einem tiefergehenden Inklusionsbegriff, so geht es eben nicht darum, Menschen mit Behinderungen die paternalistische Gnade zu kommen zu lassen, irgendwie mitgenommen oder eingebunden zu werden, sondern darum, dass Bildungssystem dahingehend zu reformieren, dass strukturell für jedes Kind der Freiraum für eine individuelle Lernentwicklung geschaffen und gleichzeitig dennoch die objektive Vergleichbarkeit von Leistungen ermöglicht wird.
Diesen Spagat erreicht man eben nicht durch das Führen von ideologischen Schulformdebatten, sondern durch das Hinterfragen des ziel-und zeitgleichen Lernens als tragendes Strukturprinzip aller Regelschulformen. Begreift man Inklusion somit als Forderung, das Lernen als individuellen Lern- und Erkenntnisprozess der Wissensaneignung an allen Schulen zu etablieren, so steht Inklusion für ein humanistisches Bildungsverständnis, welches das Bildungsniveau und die Förderung der autonomen Persönlichkeitsentwicklung auf ein neues Level hebt. Vielleicht begreift unsere Gesellschaft so, dass die bloße Anhäufung von Wissen nichts mit qualitativer Bildung und erst recht nichts mit Mündigkeit zu tun hat und der Inklusion ein aufklärerisches Potenzial innewohnt, das bisher verkannt wurde.
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Hybris Bildung -
das aufklärerische Potenzial der Inklusion
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Weitere Informationen zu den Diskussionsgästen folgen in Kürze...