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Das BFH-Urteil im Fall von Attac

Ein Grund zur Sorge oder bloßer Alarmismus? - Ein Kommentar.

 m Dienstag, den 26. 02. 2019, gab der Bundesfinanzhof bekannt, dass Attac nicht mehr als gemeinnützige Organisation einzustufen ist. Diese Entscheidung sorgte für viel Wirbel und Aufsehen.

 

Das Onlinemagazin Legal Tribune Online sprach in dem Zusammenhang sogar vom dem „Platzen lassen einer Bombe". Diese Umschreibung ist zwar etwas salopp, aber im ersten Moment doch zutreffend, da dieses Thema ein mediales Echo erzeugte, das die ein oder andere politische Organisation aufhorchen ließ und vermutlich ins Grübeln darüber brachte, ob das Hinwirken auf politische Veränderungen im Rahmen gemeinnütziger Tätigkeit nun zum Verlust selbiger führe und damit einem faktischen Verbot gleich kommt.

 

Die Handlungssicherheit von vielen politisch tätigen NGOs wurde wohl tatsächlich erschüttert, sodass man sich medial durchaus einer derartigen Metaphorik bedienen kann. Es erscheint dennoch geboten, mediale Berichterstattung wie immer etwas nüchterner zu betrachten und dem alten aber bewährten Sprichwort Folge zu leisten, dass da heißt: es wird nichts so heiß gegessen, wie es kocht wird. Im Falle des BFH-Urteils war der Siedepunkt schnell erreicht und es entbrannten vielerorts in den sozialen Medien rein emotionale und auch zum Teil verschwörungstheoretisch anmutende Diskussionen. So wurde dem Urteil des Bundesfinanzhofs mehrfach eine politische Intention unterstellt und damit auch die richterliche Unabhängigkeit in Frage gestellt, obwohl das BFH selbst ausdrücklich betonte, dass es bei der Entscheidung nicht um die politische Ausrichtung der betroffenen Organisation ging. Natürlich sollte man sich als kritisch denkender Mensch nicht bloß auf Aussagen verlassen, sondern diese auch auf ihrem tatsächlichen Wahrheitsgehalt hin überprüfen. So stand es jedem frei sich das Urteil des Bundesfinanzhofs in Gänze zu Gemüte zu führen und sich selbst ein Bild von den Argumenten zu machen.

Der Leitgedanke des Gerichts

 

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs war von einem zentralen Leitgedanken getragen, der auch durchaus nachvollziehbar erscheint. Dem Gericht ging es darum, gemeinnützige Organisationen, welche nach § 52 Abgabenordnung steuerliche Privilegien erhalten, von politischen Parteien abzugrenzen. „Soweit eine Körperschaft danach politische Zwecke gemeinnützig verfolgen kann, muss sie sich zudem parteipolitisch neutral verhalten.“ (BFHE 257, 486)

 

Hierbei haben die Richter eine differenzierte Abgrenzung herausgearbeitet um so eine sachgerechte Unterscheidung zu ermöglichen und eben nicht, wie es vielfach angedeutet wurde, pauschal auf das politische Tätigwerden an sich abgestellt. Würde man seiner Argumentation tatsächlich diesem Trugschluss voraussetzen, so wäre das Urteil wirklich mehr als bedenklich, da so den politischen Parteien gegenüber anderen Organisationen ein faktisches „Meinungsbildungsmonopol" zukäme, sofern man die Komplexität der politischen Willensbildung auf eben genannte Akteure reduziert, um frohlockend und ungestört den dramaturgischen Abgesang unserer Demokratie anstimmen zu können. 

 

Dramaturgische Darstellungen in sozialen Netzwerken und Kommentaren haben wirklich einen Unterhaltungswert, sind für eine sachliche Folgeabwägung jedoch eher hinderlich. Zumal hierdurch wirklich ernstzunehmende Gefahrenprognosen bzgl. der Einschränkung von Freiheitsrechten verwässert werden. Es darf natürlich nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts, Organisationen, die sich zu politisch engagieren, die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, eine Zäsur darstellt und aus solch einer Entscheidung selbstverständlich Gefahren für die Teilhabe an Meinungsbildungsprozessen erwachsen können. Insbesondere muss dabei beachtet werden, dass der Status der Gemeinnützigkeit zwar rechtlich „nur" eine steuerrechtliche Privilegierung darstellt und die Entziehung der selbigen die rechtliche Existenz einer Organisation unberührt lässt, man darf aber nicht vergessen, dass der Status der Gemeinnützigkeit einer Organisation zumindest gesellschaftlich eine Art nicht zu unterschätzende Legitimation verleiht, sodass der Verlust der Gemeinnützigkeit nicht nur steuerliche Nachteile mit sich bringt, sondern dem Ansehen einer Organisation schaden kann.

 

Aus diesem Grund ist es verfassungsrechtlich geboten, die Voraussetzung für das Verneinen der Gemeinnützigkeit so präzise und engmaschig wie möglich zu formulieren. Das Merkmal der politischen Willensbildung wurde daher auch nicht pauschal als Abgrenzungskriterium herangezogen, sondern lediglich daran angeknüpft, um eine differenzierte Abgrenzung auszugestalten. Ein feiner aber immens wichtiger Unterschied, der leider bei vielen kurzatmigen Verlautbarungen nicht berücksichtigt wurde.

Kein allgemein politisches Mandat

 

Zunächst erstmal hat das Gericht klargestellt, dass die Verfolgung von politischen Zielen an sich kein gemeinnütziger Zweck im Sinne der Abgabenordnung darstellt. Es gibt kein allgemeinpolitisches Mandat für gemeinnützige Körperschaften. (BFH, 10.01.2019 - V R 60/17 )

 

Der Bundesfinanzhof hat jedoch in Bezug auf seiner früheren Rechtsprechung auch betont, dass die politische Einflussnahme zur Verfolgung der in § 52 Abs. 2 AO ausdrücklich genannten Zwecke gestattet ist.

 

Zur Förderung der Allgemeinheit gehört auch die kritische öffentliche Information und Diskussion, um ein nach § 52 Abs. 2 AO begünstigtes Anliegen der Öffentlichkeit und auch Politikern nahezubringen, wenn die unmittelbare Einwirkung auf die politischen Parteien und staatliche Willensbildung gegenüber der Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund tritt. (BFHE 142, 51)

 

Unter diesen Voraussetzungen darf eine gemeinnützige Organisation auch gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen, sofern es der Vermittlung ihrer Ziele dient und nicht den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit darstellt. (BFHE 155, 461)

Die rechtliche Problematik im Fall Attac

 

Attac hat sich nun auf den in § 52 Abs. 2 AO aufgelisteten Begriff der Volksbildung berufen, um so ihre politische Zweckverfolgung darunter zu fassen und dadurch als gemeinnützig anerkennen zu lassen.

 

Ein Kunstgriff, dem das Gericht eine klare Absage erteilte. Der Begriff der Volksbildung, so die Richter des Bundesfinanzhofs, setzt eine Tätigkeit in geistiger Offenheit voraus und darf eben nicht eingesetzt werden, um die politische Willensbildung und öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen. 

 

Anders ausgedrückt, ist die politische Betätigung und Teilhabe in einem demokratischen Rechtsstaat zwar gewünscht und lobenswert, stellt allein für sich aber keine förderungsbedürftige Nützlichkeit für die Allgemeinheit bzw. keine Gemeinnützigkeit im steuerrechtlichen Sinne dar. 

 

Das bedeutet aber nicht, dass gemeinnützigen Organisationen der Verlust der Gemeinnützigkeit drohe, wenn diese sich politisch betätigen oder ihre anerkannten gemeinnützigen Zwecke politisch durchsetzen wollen. Gemeinnützigen Organisationen ist die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und auf die öffentliche Meinung nicht untersagt, wenn sie sich hierbei auf einen anerkannten gemeinnützigen Zweck beziehen und die politische Betätigung eben nicht bloßer Selbstzweck ist. „Die tatsächliche Geschäftsführung eines als gemeinnützig anerkannten Vereins muss ausschließlich auf die Verwirklichung satzungsmäßiger Ziele gerichtet sein.“ (BFH/NV 2011, 1113)

Zweck der politischen Bildung als Sonderfall

Aus dem Gesagten ergibt sich auch das wichtigste Abgrenzungskriterium des Bundesfinanzhofs und zwar das Merkmal der allgemeinpolitischen Betätigung. Gemeinnützige Organisationen sind angehalten sich in ihrem politischen Wirken auf ihre anerkannten gemeinnützigen Zwecke zu beschränken und ihnen soll im Gegensatz zu politischen Parteien kein allgemeinpolitisches Mandat zu gestanden werden. Verfolgt eine Organisation einen konkreten gemeinnützigen Zweck wie den Umweltschutz und versucht diese ihre Umweltschutzziele politisch auch ambitioniert durchzusetzen, kann aufgrund der Konturschärfe des Zweckes schon keine allgemeinpolitische Tätigkeit angenommen werden. 

 

So sind nach dem Bundesfinanzhof die Grenzen der allgemeinpolitischen Betätigung selbst dann noch gewahrt, wenn eine massive politische Einflussnahme durch die Unterstützung einer Volksinitiative durch eine Umweltschutzorganisation vorliegt.

(BFHE, 257, 486)

Der Fall ist jedoch anders gelagert, wenn sich eine Organisation, wie auch Attac, auf den weit gefassten Begriff der politischen Bildung beruft. Anders als der Begriff des Umweltschutzes oder der Erziehung lässt sich der Begriff der politischen Bildung schwerlich auf ein konkretes politisches Themenfeld begrenzen.

 

Die politische Bildung zielt eben gerade darauf ab, sich mit allgemeinpolitischen Themen der Tagespolitik auseinanderzusetzen. Der gemeinnützige Zweck stellt daher einen Sonderfall dar, dessen Abgrenzung zur allgemeinpolitischen Betätigung besonders schwierig ist. Zunächst erstmal ist es, nach der Rechtsprechung des BFHs durchaus gestattet, im Rahmen der politischen Bildung Lösungsvorschläge für Problemfelder der Tagespolitik zu erarbeiten. Dies muss jedoch in geistiger Offenheit passieren und die so gewonnen Ergebnisse dürfen, dann eben nicht durch weitere Maßnahmen politisch durchgesetzt werden.

Die Abgrenzung im Einzelfall

 

Das Abgrenzungskriterium zur allgemeinpolitischen Betätigung orientiert sich maßgeblich an dem jeweiligen anerkannten gemeinnützigen Zwecken und lässt sich wie folgt zusammenfassen:

 

Verfolgt eine Organisation einen gemeinnützigen Zweck, der ein konkretes Themenfeld vorgibt, so kann die jeweilige Organisation auch versuchen ihre themenbezogenen Ziele politisch durchsetzen. Deckt der verfolgte Zweck jedoch kein konkretes Themenfeld ab, sondern eröffnet die Möglichkeit, sich mit allen denkbaren gesellschaftlichen Themen zu befassen, so muss dies in geistiger Offenheit geschehen, muss sich in ihrem Wirken auf politische Diskussion und Information beschränken und darf eben nicht zur Durchsetzung konkreter politischer Ziele missbraucht werden.

 

Organisationen, die sich mit allgemeinpolitischen Fragen beschäftigen und damit regelmäßig auf die Tagespolitik Einfluss nehmen wollen, sind bzgl. ihrer inhaltlichen Programmatik eben nicht mehr von politischen Parteien zu unterscheiden.

 

Eine politische Frage

 

Natürlich kann es immer passieren, dass eine Organisation sich weiterentwickelt und beginnt, wie Attac ihre Reputation und ihr politisches Gewicht dazu zu verwenden, sich breiter aufzustellen und unter dem Mantel der Globalisierungs- und Kapitalismuskritik allgemeinpolitisch zu betätigen, indem sie zu grundlegenden gesellschaftlichen Fragen und Problemen Lösungsvorschläge entwickeln. Hieran ist nichts verwerflich, selbst wenn die damit verbundene Aberkennung der Gemeinnützigkeit durchaus einer faktischen Bestrafung gleichkommt. 

 

Zweifelsohne lässt sich die Aberkennung der Gemeinnützigkeit aus den dargelegten Gründen politisch hinterfragen, ob  Parteien nach der gegenwärtigen Gesetzeslage wirklich derart bevorzugt werden sollten. Insbesondere wenn man bedenkt, dass die Hürden für eine Parteigründung und die erfolgreiche Teilnahme an Wahlen aufgrund der Prozenthürden wesentlich höher als die Gründung eines Vereins sind. Die politische Teilhabe, sei sie themenspezifisch oder allgemeinpolitisch, sollte grundsätzlich so einfach und unkompliziert wie möglich gestaltet sein und eben nicht nur ambitionierten Jungpolitikern und alteingesessenen Berufspolitikern vorbehalten bleiben. 

 

Hier empfiehlt es sich darüber nach zu denken, ob der Gesetzgeber die Stellung von NGOs nicht stärken sollte und in diesem Zusammenhang vielleicht den Begriff der Gemeinnützigkeit neu zu definieren, um politische Partizipation in ihren verschiedenen Ausformungen zu fördern. Es würde sicherlich ein Gewinn für unsere Demokratie sein, wenn man bedenkt, dass Parteien aufgrund ihrer staatstragenden Funktion in der Regel von selbstauferlegten Sachzwängen beherrscht werden und eher dahin ausgerichtet sind, den Status Quo zu verwalten, anstatt mögliche und notwendige Reformen anzustreben.

 

Dies ist jedoch keine rechtliche, sondern eine allgemeinpolitische Frage, welche, um den Kreis zum Urteil des Bundesfinanzhofs wieder zu schließen, eben in geistiger Offenheit diskutiert werden sollte.

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Ein Kommentar von Daniel Roesch

 

Veröffentlich am 9. März 2019

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